Es bedarf bei der Ausschöpfung der Höchstdauer einer Wohnungsverweisung von 14 Tagen einer ermessensgerechten Begründung im Einzelfall.
Das Verwaltungsgericht Osnabrück hat in diesem Fall entschieden, dass der die Wohnungsverweisung betreffende Bescheid rechtswidrig ist.
Nach der Spezialermächtigung des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG können Ordnungsbehörde oder Polizei zur Abwehr einer Gefahr jede Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr das Betreten eines Ortes verbieten (sog. Platzverweisung). Betrifft eine solche Maßnahme eine Wohnung, so ist sie gegen den Willen der berechtigten Person nur zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr zulässig (sog. Wohnungsverweisung, vgl. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nds. SOG). Die Polizei darf eine Wohnungsverweisung für die Dauer von höchstens 14 Tagen aussprechen, wenn dies erforderlich ist, um eine von der berechtigten Person ausgehende gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben, Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung von in derselben Wohnung wohnenden Personen abzuwehren (§ 17 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG).
Mit einer Wohnungsverweisung wird in das Grundrecht der „berechtigten“ Person auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG eingegriffen. Dieses Grundrecht steht in engem Zusammenhang mit dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und zielt auf einen Schutz der Wohnung und der Privatsphäre; der Schutzbereich umfasst die Privatheit der Wohnung als einen elementaren Lebensraum und damit die räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet. In der Absicherung der Privatsphäre in räumlicher Hinsicht liegt der enge Zusammenhang des Art. 13 Abs. 1 GG mit der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG begründet. In Ansehung dieses grundrechtlich geschützten hohen Rechtsgutes wie auch des rechtsstaatlich begründeten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hat der Landesgesetzgeber auf der Grundlage der Schrankenregelung des Art. 13 Abs. 7 GG polizeiliche Eingriffe nach § 17 Abs. 2 Nds. SOG auf den Schutz ebenfalls „berechtigter“ Personen beschränkt, die sich hinsichtlich der fraglichen Wohnung ebenfalls auf das Grundrecht des Art. 13 Abs. 1 GG berufen können, und zudem gesteigerte Anforderungen an das Vorliegen der Gefahr sowohl hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit der Gefahr und des drohenden Schadens als auch hinsichtlich der als Schutzgut in Betracht kommenden Rechtsgüter normiert.
Von der Polizei ist zur Beachtung dieser Grundrechtsrelevanz bei einer Wohnungsverweisung in besonderer Weise die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gefordert, weshalb insbesondere von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenige zu treffen ist, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt (§ 4 Abs. 1 Nds. SOG). So ist die Wohnungsverweisung insbesondere keine Sanktion für geschehenes Unrecht, sondern dient allein der Abwehr einer aufgrund der festzustellenden Gesamtumstände begründeten Gefahr, dass es in allernächster Zeit zu einer erneuten Verletzung der besonderen Schutzgüter kommt. Auch darf die Maßnahme nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht (§ 4 Abs. 2 Nds. SOG), wie auch eine Maßnahme nur solange zulässig ist, bis ihr Zweck erreicht ist (§ 4 Abs. 3 Nds. SOG).
Dementsprechend hat der Gesetzgeber in Abwägung der betroffenen grundrechtlichen Belange eine ausdrücklich als Höchstdauer normierte Frist von 14 Tagen als äußerste Grenze für die Bemessung einer Wohnungsverweisung normiert. In diesem Rahmen hat die Polizei eine zur Gefahrvermeidung gebotene Wohnungsverweisung auf das in zeitlicher Hinsicht erforderliche Maß zu beschränken.
Eine regelmäßige Ausschöpfung der Höchstdauer ist damit nicht zu vereinbaren. Dies lässt sich auch nicht mit Blick auf das Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz begründen. Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass in einem solchen Verfahren eine gerichtliche Entscheidung regelmäßig nicht vor Ablauf dieser Höchstfrist zu erwarten ist, gibt es nicht. Vielmehr ist gerichtsbekannt, dass die zuständigen Familiengerichte bei gegebener Dringlichkeit ggf. auch ohne Anhörung der anderen Seite unmittelbar nach Antragseingang bzw. auch bei Durchführung einer Anhörung innerhalb weniger Tage eine Entscheidung treffen. Die regelmäßige Ausschöpfung der Höchstfrist lässt sich auch nicht durch Postulation einer Überlegungsfrist des mutmaßlichen Gewaltopfers begründen, ob es seine Interessen durch einen dahingehenden Antrag verfolgen will. Dieser Obliegenheit wird vielmehr unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, zu entsprechen sein. Hiervon muss die Polizei bereits bei der Bemessung ihrer Maßnahme ausgehen. Hierfür spricht auch die Verpflichtung der Polizei nach § 17 Abs. 2 Satz 4 Nds. SOG, die gefährdete Person unverzüglich über die Dauer der Maßnahme zu unterrichten. Dem mutmaßlichen Gewaltopfer soll damit erkennbar die Gelegenheit gegeben werden, die erforderlichen Dispositionen zur Wahrung der eigenen Belange zu treffen.
Zu einem weiterreichenden Schutz seiner Rechtsgüter ermächtigt der Gesetzgeber in § 17 Abs. 2 Nds. SOG die auch im Allgemeinen nur für den ersten Zugriff zuständige Polizei (§ 1 Abs. 2 Nds. SOG) nicht, überantwortet dies vielmehr mit den Bestimmungen des Gewaltschutzgesetzes den Familiengerichten. Zudem obliegt auch der von § 17 Abs. 2 Nds. SOG verfolgte Schutz gewichtiger Individualrechtsgüter der Polizei grundsätzlich nur soweit, wie gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist (§ 1 Abs. 3 Nds. SOG), weil jedermann verpflichtet ist, sich um seine Rechtsgüter selbst zu kümmern und zu diesem Zweck üblicherweise die Zivilgerichte in Anspruch zu nehmen.
Für die Bestimmung der zu ergreifenden Maßnahme fordert das auch für die polizeiliche Sachverhaltserforschung geltende Amtsermittlungsgebot (vgl. § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i.V.m. § 24 BVwVfG) eine erschöpfende Aufklärung der Gefahrenlage, regelmäßig des tatsächlichen Geschehens und der Verantwortungsanteile beteiligter Personen, die ihr nach Lage der Dinge objektiv möglich ist. Insoweit weisen jedoch auch Polizeibehörden zutreffend darauf hin, dass es bei häuslichen Konflikten für die hinzu gerufenen Polizeibeamten häufig sehr schwierig ist, den Sachverhalt in der Kürze der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit vollständig zu klären bzw. objektive Erkenntnisse zu erlangen, weil die betreffenden Personen regelmäßig abweichende Sachverhaltsdarstellungen, typischerweise mit wechselseitigen Schuldzuweisungen geben. Es bedarf daher regelmäßig einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls, die sich nach situationsangemessener Ausschöpfung des Amtsermittlungsgebots feststellen lassen oder gemäß ihrer Wahrscheinlichkeit in die Abwägung einzustellen sind. Dabei hat die Polizei insbesondere die Betroffenheit der grundrechtlichen Rechtspositionen aller hinsichtlich der Wohnung „berechtigten“ Personen in den Blick zu nehmen. Einen über die Verantwortlichkeit des Handlungsstörers nach § 6 Abs. 1 Nds. SOG hinausgehenden allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass auch bei fehlender oder eingeschränkter Aufklärbarkeit des Sachverhalts stets der (mutmaßliche) „Täter“ und nicht ein (mutmaßliches) „Opfer“ auf die Wohnung verzichten muss, gibt es im Übrigen nicht; das lässt sich auch § 17 Abs. 2 Nds. SOG nicht entnehmen. Dies widerspräche auch der Begrenzung des Schutzes von Individualrechtsgütern nach § 1 Abs. 3 Nds. SOG und der Obliegenheit des Rechtsgutinhabers zu eigenverantwortlicher Sorge bis hin zur Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes.
In Ansehung dieser rechtlichen Maßstäbe war die vorliegend für die Höchstdauer von 14 Tagen ausgesprochene Wohnungsverweisung zur Gefahrenabwehr angesichts des unmittelbar bevorstehenden Umzugstermins nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig. Gegebenenfalls wäre eine zeitlich auf den voraussichtlichen Umzug begrenzte Maßnahme in Betracht gekommen, bei deren Ausgestaltung auch berechtigte Interessen des Antragstellers als verbleibender Wohnungsinhaber hinsichtlich der Wegnahme von Einrichtungsgegenständen oder anderer in der Wohnung vorhandener Sachen hätten Berücksichtigung finden können. Entgegen der im Erörterungstermin des Eilverfahrens vertretenen Auffassung der Beklagten lässt die Ermächtigungsgrundlage des § 17 Abs. 2 Nds. SOG es nicht zu, zunächst die Höchstdauer einer Wohnungsverweisung gewissermaßen „auf Vorrat“ auszuschöpfen, um damit etwaigen, nicht näher benennbaren Unwägbarkeiten hinsichtlich eines Gelingens des Umzugs Rechnung zu tragen, und den Eingriff erst nach Abschluss des Umzugs aufzuheben. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Beklagte insoweit von sich aus irgendwelche Vorkehrungen zur Überwachung des Wegfalls der Voraussetzungen ihrer Dauerverfügung getroffen hätte. Insofern ist das Gericht auch davon überzeugt, dass die Beklagte nicht von sich aus eine frühere Beendigung der Wohnungsverweisung betrieben hätte, wenn der Antragsteller nicht um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht hätte.
Nach den Ermittlungen des Gerichts unter Einbeziehung der im Eilverfahren gewonnenen Erkenntnisse stand zum Zeitpunkt des polizeilichen Einsatzes der Umzug der Lebensgefährtin in deren bereits angemietete und in Renovierung befindliche eigene Wohnung für den folgenden Samstag bzw. spätestens für den darauffolgenden Montag unmittelbar bevor. Dies hatten die Polizeibeamten ausweislich der Verwaltungsvorgänge auch im Wesentlichen bereits in Erfahrung gebracht. Sowohl die Adresse der neuen Wohnung wie auch die Umzugsabsicht hatte die Lebensgefährtin angegeben. Dass der bereits feststehende Umzugstermin von den Polizeibeamten nicht durch gezielte Nachfrage in Erfahrung hätte gebracht werden können, ist nicht erkennbar. Nach Lage der Dinge sind entsprechende Bemühungen unterblieben, weil man diesem Umstand keine Beachtung beigemessen hat. Vielmehr hat die Polizei gerade ermessensfehlerhaft allein auf einen den Vorstellungen der Lebensgefährtin gemäßen Abschluss von Renovierungsarbeiten und den Umzug für die zeitliche Bemessung der Wohnungsverweisung mit deren Höchstdauer abgestellt, ohne im Übrigen konkrete Feststellungen zu treffen. Dabei ist auch nicht angemessen berücksichtigt worden, dass die Lebensgefährtin des Klägers ihr eigenes Mietverhältnis bereits zum vorhergehenden Monatsende gekündigt hatte und ausschließlich auf der Grundlage einer mündlichen Absprache mit dem Kläger die Räumlichkeiten der zuvor gemeinsamen Mietwohnung über das Mietende hinaus weiter nutzte. Zwar hindert dies nicht die Annahme, die Lebensgefährtin habe auch in dieser Mietwohnung noch einen Lebensschwerpunkt und damit eine Wohnung im Sinn des Art. 13 Abs. 1 GG bzw. des § 17 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG gehabt, doch war deren Wohnungsnutzung entscheidend vom Einvernehmen des Klägers abhängig, der ihr nach rechtlicher Betrachtung diese Nutzung wenn vielleicht auch nicht zur Unzeit, im Übrigen aber wohl uneingeschränkt zu entziehen vermochte.
Die eingangs dargelegten rechtlichen Maßstäbe verbieten hinsichtlich der Eingriffsermächtigung des § 17 Abs. 2 S. 2 Nds. SOG zudem die Annahme eines sog. intendierten Ermessens. Die Bestimmung geht gerade nicht für den Regelfall von einer Ermessensbetätigung in einem bestimmten Sinn – hier einer Ausschöpfung der Höchstdauer von 14 Tagen – aus. Vielmehr bedarf deren Ausschöpfung einer ermessensgerechten Begründung im Einzelfall.
Diese rechtlich gebotene Ermessensausübung lässt der angefochtene Bescheid selbst nicht erkennen. Neben der formularmäßigen Bezugnahme beim Ausspruch der Platzverweisung auf die mit „Sachverhalt / Gefahrenbegründung / Gefahrenprognose“ betitelte Ziffer 3 finden sich im Regelungszusammenhang keine Ausführungen zur Begründung. Zu Ziffer 3 weist der angefochtene Bescheid nur Angaben zum Sachverhalt auf, die allerdings eine Gefahrenbegründung und Gefahrenprognose möglicherweise teilweise unnötig erscheinen lassen. Gar keine Ausführungen finden sich indes zur Frage der Bemessung der Dauer der Platzverweisung. Insoweit ist der Bescheid ermessensfehlerhaft, denn ihm ist nicht zu entnehmen, ob und wie das eingeräumte Ermessen erkannt und ausgeübt worden ist. Auch ist eine Begründung der Entscheidung für die höchstzulässige Dauer von 14 Tagen der Sachverhaltsschilderung nicht ansatzweise zu entnehmen. Demzufolge wird der angefochtene Bescheid auch den Begründungsanforderungen des § 1 Abs. 4 Nds. VwVfG i.V.m. § 39 Abs. 1 VwVfG nicht gerecht. Demzufolge ist der angefochtene Bescheid auch wegen Ermessens- und Begründungsfehlern rechtswidrig.
Nachträgliche Erläuterungen durch die den Einsatz durchführenden Polizeibeamten können dieses Ermessens- und Begründungsdefizit ebenso wenig heilen, wie die Beklagte es im gerichtlichen Verfahren durch „nachgeschobene“ Erwägungen vermag. Allein eine Ergänzung von im Bescheid zumindest angesprochener Ermessenserwägungen ist nach § 114 S. 2 VwGO statthaft, nicht aber eine erstmalige Ermessensausübung bzw. Ermessensbegründung noch ein Austausch maßgeblicher oder tragender Erwägungen oder vollständiges Ersetzen von Ermessenserwägungen. Zudem hat der von der Behörde festgestellte Sachverhalt für die Rechtmäßigkeit der Ermessensbetätigung entscheidende Bedeutung. Ist der Sachverhalt – wie bereits dargelegt – im Hinblick auf die anzuwendende Norm unvollständig ermittelt, kann eine hierauf aufbauende Ermessensentscheidung nicht rechtmäßig sein.
Verwaltungsgericht Osnabrück, Urteil vom 19. August 2011 – 6 A 244/10